Als Jil Engelke am 28. Juni 2010 auf die Welt kam, war Mutter Daniela happy. Ein gesundes kleines Mädchen. Alles perfekt. So schien es zumindest. Bis zum sogenannten otoakustischen Test (= Messung der otoakustischen Emissionen, OAE), der heutzutage routinemäßig bei jedem Neugeborenen gemacht wird, um das Hörvermögen zu prüfen. Heute trägt Jil ein Cochlea-Implantat (CI), das sie im März 2021 eingesetzt bekam – und macht bei unserem Pilotprojekt „Aus der Stille in den Klang“ mit.

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Peter, Jil und Daniela: Jil hat zuerst auf der Geige gespielt, bevor sie sich dann später für Klavier entschied und das Instrument wechselte.
Daniela wirft Besteck auf den Boden, um den Hörsinn von Jil zu testen…

Aber zurück zu den Anfängen von Jils Geschichte: Der OAE-Test war leider positiv – also auffällig. Aber die Ärzte beruhigten erst einmal. „Wahrscheinlich ist noch Fruchtwasser im Ohr!“, hieß es. Doch die Mutter war beunruhigt. „Ich habe immer wieder Edelmetall auf die Fliesen fallen lassen, um eine Reaktion meines Kindes zu erhalten“, erinnert sich Daniela Engelke. Messer, Gabel, auch größere Gegenstände flogen zu Boden. Reaktion des Kindes: Nichts.

Gegen die Schwerhörigkeit gab es zunächst ein Hörgerät 

In der MHH erfolgte daraufhin eine Hirnstammaudiometrie (Brainstem Electric Response Audiometry, BERA). Heraus kam, dass Jil schwerhörig ist. Daniela Engelke: „Jil besaß eine Hörschwelle von 65 Dezibel. Zum Vergleich: Das ist so, als ob wir uns unterhalten würden, aber eine geschlossene Tür dazwischen ist und wir in zwei unterschiedlichen Räumen sitzen!“ Eine Woche später kam die Verordnung für ein Hörgerät.

Nebengeräusche stören beim Unterricht in der Schule

Und: Das Kind hörte. Und lernte sprechen. Und das sehr gut. Die ersten zwei Schuljahre verbrachte Jil in einer ganz gewöhnlichen Schule, allerdings bekam sie immer mehr Probleme mit den Nebengeräuschen, die verstärkt in den Hörgeräten wiedergegeben werden. Denn so ein Klassenraum mit vielen Kindern ist wirklich laut. Und wenn dann noch die Nebengeräusche verstärkt werden – nicht so gut. Deshalb wechselte Jil nach der zweiten Klasse Regelschule in die Wiederholungs- bzw. zweite Klasse in die Hartwig-Claußen-Schule für Kinder, die besondere Unterstützung im Bereich des Hörens oder Auffälligkeiten in der auditiven Wahrnehmung und Verarbeitung besitzen.

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Daniela und Jil bei unserer Pressekonferenz zum Projekt „Aus der Stille in den Klang“ mit Botschafter Mousse T.
Schulwechsel mit Erfolg: Kleine Klassen, LehrerInnen unterstützten bei Hörschwäche

Hier gibt es pro Klasse lediglich sieben bis neun Kinder, wobei die Räumlichkeiten teils sogenannte Klassenhöranlagen besitzen. Das heißt, auch wenn der Lehrer an der Tafel steht und mit dem Rücken zu den Kindern spricht, können sie ihn deutlich verstehen.

CI-Implantat mit zehn Jahren als das linke Ohr ertaubt

Doch leider wurde das Hören bei Jil – auch mit Hörgerät – schlechter, auf dem linken Ohr hörte sie schließlich gar nichts mehr. Deshalb wurde ihr am 4. März 2021 im Alter von zehn Jahren ein Cochlea-Implantat eingesetzt. Und: Jetzt kann sie wieder hören.

Ein CI eröffnet neue Chancen aufs Hören

Anfangs ist das Gerät noch ungewohnt, aber eine genaue Einstellung erfolgt regelmäßig, damit das Hören immer optimal wahrgenommen wird. Die Kinder empfinden dieses Hören ganz unterschiedlich. Daniela Engelke: „Neulich unterhielt sich Jil mit zwei Freundinnen. Die eine sagte, es höre sich an als spräche eine Prinzessin, die andere wie ein Roboter. Jil meinte dazu: ,Dann klingt das bei mir wie ein Alien …’“ Egal wie, Daniela Engelke ist froh, dass es so etwas wie das CI gibt: „Im Unterschied zu jemandem, der erblindet, wo es kaum möglich ist, das Sehvermögen wieder herzustellen, hat man mit einem CI die Chance, wieder hören zu können! Dafür bin ich sehr dankbar.“

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Daniela Engelke bei unserem Interview in der Stillen Station.
Als Jil von dem Projekt erfährt, ist sie Feuer und Flamme… 

Vor zwei Jahren stellte Projekt-Initiatorin Elena Kondraschowa auf einem Elternabend an der Schule ihr Konzept für Kinder mit CI vor: Mit dem Erlernen eines Instruments besser hören und sprechen zu lernen, das ist ihr Ziel. Eine ihrer Schülerinnen spielte an diesem Abend Geige, da war Jil hin und weg. Auch sie wollte gerne Geige spielen. Und sofort loslegen. Die Schul-Geige war bereits da, aber dann kam Corona.

Jil startete ihren Musikunterricht nach den Sommerferien 2021 und macht mit bei unserem Projekt „Aus der Stille in den Klang“. Allerdings hat sie inzwischen das Instrument gewechselt und spielt lieber Klavier.

Mutter Daniela „Ich finde dieses Projekt einfach super!“

Mutter Daniela hofft: „Dass der Zugang über die Musik das Hörverstehen verbessert. Und sich mit dem Spielen des Instruments das Hören von Tönen sowie die Intonation differenzieren. Ich finde dieses Projekt einfach super! Und natürlich war ich von Anfang an begeistert davon, denn ich möchte meinem Kind ja alle Möglichkeiten offenhalten, damit sich Jil weiter entwickeln kann.“

Im Video: Daniela Engelke beim Interview in der Stillen Station in Hannover im August 2021.