Projektstart „Aus der Stille in den Klang“

Wie ein Musik-Projekt hörgeschädigten Kindern eine neue Welt erschließt

„Die Musik spricht für sich allein. Vorausgesetzt, wir geben ihr eine Chance.“ (Yehudi Menuin)

Elena Kondraschowa ist Musikpädagogin, Musikwissenschaftlerin und Konzertgeigerin. Und sie hatte die Idee, hörgeschädigten Kindern die Musik näher zu bringen. Diese Kinder tragen alle ein Cochlea-Implantat (Hörprothese). Damit können sie jedoch Musik und Rhythmus nur eingeschränkt wahrnehmen. Für sie entwickelte Elena Kondraschowa eine spezielle Methode, um ihnen das Erlernen eines Instrumentes und ein klangvolleres Hören zu ermöglichen. „Meine jüngere Schwester ist im Kleinkindalter fast vollständig ertaubt und ich habe damals angefangen, ihr mit einer unorthodoxen Methode Geigenunterricht zu geben. Später fiel mir auf, dass sie beim Geige spielen aufgrund der Knochenleitung durch das Aufsetzen am Kinn ein sichtbar verbessertes Hörvermögen zu haben schien.“, erzählt sie. So hat die Musikpädagogin ihr neuartiges Hörkonzept für Kinder mit Cochlea-Implantat im Laufe der Jahre immer weiter verfeinert.

Der Zufall wollte es wohl so …

An ihre Grenzen kam sie zwischenzeitlich als sie Förderinnen und Förderer suchte, die ihr Konzept unterstützen. Erst als sie per Zufall auf Aktion Kindertraum stieß, nahm ihre Idee Fahrt auf. Sie kam eines Tages an der Geschäftsstelle von Aktion Kindertraum vorbei und ging „auf gut Glück“ einfach mal hinein. Dieser spontane Entschluss sollte den Weg zum tatsächlichen Beginn von „Aus der Stille in den Klang“ ebnen. Denn Ute Friese, Gründerin und Geschäftsführerin von Aktion Kindertraum und ihre langjährige Mitarbeiterin Helga Berndmeyer, heute Projektleiterin von „Aus der Stille in den Klang“ bei der Non Profit Organisation, verstanden sofort, welche umwälzende Dimension die Idee von Elena Kondraschowa hatte.

Elena Kondraschowa erklärt Matin, dass man die Töne vom Klavier auch spüren kann.

Das war im September 2018, im Oktober war dann Aktion Kindertraum offizieller Förderer von „Aus der Stille in den Klang“ und es wurde gemeinsam ein Plan entworfen, wie man das Pilotprojekt in die Realität umsetzen wollte. Es sollte – bedingt durch die Corona-Pandemie – schließlich im September 2021 losgehen. „Ein langer Weg“, berichtet Helga Berndmeyer. „Es brauchte seine Zeit, bis etwa die Psycholinguistin Dr. Barbara Eßer-Leyding vom CIC oder Prof. Dr. Anke Lesinski-Schiedat vom Deutschen HörZentrum mit im Boot waren.“ Das Projekt sollte nämlich nicht nur hörgeschädigten Kindern die Möglichkeit bieten, ein Instrument zu lernen. Auch eine wissenschaftliche Begleitung war vorgesehen – eben im Zusammenhang mit dem erwähnten Deutschen Hörzentrum und dem Cochlear Implant Centrum (CIC). Weiterhin wirken jetzt der international herausragende klassische Pianist Sebastian Knauer und der bekannte DJ, Musikproduzent und Komponist Mousse T. als Botschafter für dieses Pilotprojekt mit.

Das Selbstbewusstsein stärken

Michaela Vesco, Musiklehrerin an der Hartwig-Claußen-Schule, erwies sich ebenso als unermüdliche Förderin von „Aus der Stille in den Klang“. „Ich unterstütze alles, was mit Musik und Kreativität zu tun hat, denn das sind ganz, ganz wichtige Bereiche, in denen Kinder gefördert werden müssen.“ Elena Kondraschowa hatte bereits früher an der Schule das Projekt vorgestellt und begonnen, mit einigen Kindern zu musizieren. „Und da habe ich gemerkt“ so die Lehrerin, „wie gut die Kinder im Musikunterricht wurden. Mit diesem Projekt werden beispielsweise die Wahrnehmung und das Rhythmus-Gefühl besonders gefördert.“ Zudem werde nach Ansicht von Michaela Vesco „das Selbstwertgefühl der Kinder enorm aktiviert. Mal ganz abgesehen von einer wirklich gelebten Inklusion.“

Immer engagiert dabei! Elena Kondraschowa summt mit Jerome die Tonleiter, die in diesem Fall eine Treppe ist.

Erst kürzlich hat das Projekt seinen offiziellen Start erfahren, wie Helga Berndmeyer als ständige Begleiterin weiß: „Mit dem Startschuss für dieses Pilotprojekt – und damit auch für die auf ein Jahr angelegte begleitende wissenschaftliche Studie – haben ab sofort zehn hörgeschädigte Kinder mit Cochlea-Implantat zwischen neun und elf Jahren einmal pro Woche bei Elena Kondraschowa Unterricht. Die einen mit der Geige, die anderen am Klavier.“ Sie kommen aus unterschiedlichen Klassen zusammen, um gemeinsam Musik zu machen. Helga Berndmeyer war beim Auftakt dabei und hat sofort gespürt und gesehen: „Die Kinder waren – im positiven Sinne – sehr aufgeregt und wollten nun einfach anfangen. Ihre Augen leuchteten und von Anfang an haben sie alles geradezu aufgesaugt. Sie waren selbst fasziniert davon, wie Töne auf einer Geige klingen und schwingen und, dass man auch auf dem Klavier Töne fühlen kann.“

Elena erklärt Jerome, der ein Cochlea-Implantat trägt, die Noten auf dem Notenblatt.
Welche Taste muss man anschlagen, um eine bestimmte Note zu spielen. Geduldig beantwortet Elena Kondraschowa diese Frage.

Dur und Moll unterscheiden

Neben den zehn hörgeschädigten Kindern, die mit Elena Kondraschowa arbeiten, nehmen noch fünf andere hörgeschädigte Kinder als Vergleichsgruppe an dem Pilotprojekt teil. Sie bekommen allerdings lediglich den üblichen Musikunterricht an der Schule. Die wissenschaftliche Studie wird umfassend von Dr. Eßer-Leiding und Prof. Dr. Lesinski-Schiedat gefördert und durchgeführt. Das ganze Versuchsprojekt ist übrigens in Kooperation mit dem HörZentrum auch Gegenstand der Bachelor-Arbeit der Studentinnen Mareike Dröge und Ricarda Gorny von der Leibniz-Universität. Sie befragen die Kinder zu Beginn und zum Ende des Projektes zur Emotionalität der Musik und wie sie die Tonhöhen wahrnehmen. Weiterhin testen sie deren Rhythmusgefühl, die Feinmotorik und ob die Kinder später Dur und Moll unterscheiden können.

Die Studentinnen Mareike Dröge und Ricarda Gorny befragen die Schüler vor der ersten Unterrichtsstunde.

Richtig ist: Wer Geige oder Klavier spielen will, braucht das passende Instrument dazu. Die ersten Geigen hatte Elena Kondraschowa über einen Sponsor aus Hildesheim beigesteuert, nun sind noch acht weitere Geigen plus Bögen von Aktion Kindertraum-Spendern dazugekommen – aus Berlin und aus Seeheim bei Darmstadt, wunderbar. Und wunderbar ist auch das hannoversche Klavierhaus Döll, das Aktion Kindertraum bei den Anschaffungen und Fragen rund um die Klaviere hilfreich zur Seite steht und unterstützt. So stehen nun ebenfalls zu Hause bei den jeweiligen Kindern Geigen und Klavier zu deren Verfügung. Damit sie dort ihre neuen Kenntnisse in Ruhe vertiefen können.

Ein außergewöhnliches Konzept

Wer dies alles bis hierhin gelesen hat, mag erahnen, wie umfänglich das Musikprojekt „Aus der Stille in den Klang“ ist. Helga Berndmeyer weiß deshalb sehr zu schätzen, wie die diversen Akteure in ihren Funktionen und in ihrem Engagement zum Gelingen von „Aus der Stille in den Klang“ tatkräftig und voller Freude beitragen. So, wie Mousse T. und Sebastian Knauer, die zusammen mit den Kindern in 2022 ein eigens komponiertes Musikstück performen werden. Darüber und zu allen weiteren Entwicklungen werden wir Sie ab sofort jede Woche mittwochs und donnerstags auf dem Laufenden halten – im Blog und auf unseren Social Media Kanälen von Aktion Kindertraum (Facebook, Instagram, LinkedIn, YouTube).

Warum wir das tun? Wir glauben, dass „Aus der Stille in den Klang“ ein in der Tat außergewöhnliches Musik-Konzept ist und dass darüber regelmäßig, ausführlich und zugegebenermaßen mit größter Sympathie in einer breiteren Öffentlichkeit berichtet werden muss. Denn es kann ja gut sein, dass dieses Projekt die Keimzelle für eine künftig anerkannte, neue Methode ist, wie Kinder mit Cochlea-Implantat Musik gänzlich neu erfahren. Kinder, die durch dieses Projekt im Umgang mit Gleichaltrigen und in ihrem täglichen Leben souveräner werden. Jene Kinder eben, die Helden in dieser schönen Geschichte sind.

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Andreas Wrede

Zunächst habe ich in Göttingen Soziologie, Politik und Neuere Chinesische Sprache studiert. Nach einem Volontariat beim Göttinger Tageblatt war ich u.a. Gründungs-Chefredakteur von Max, und Chefredakteur von Spiegel Spezial und GQ Germany. Weiterhin bin ich Programmdirektor des Pay-TV-Senders Premiere (heute: Sky) gewesen, arbeitete als Korrespondent für den Axel Springer Verlag in New York City und beriet zahlreiche Verlage. Heute bin ich Dozent für Journalismus am Masterstudiengang der Hamburg Media School und leite dessen InnoLab.

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